Geänderte OGH-Judikatur zum Familienzeitbonus – „Al-les oder Nichts-Strategie“ wegen nicht erfüllter „Pi-pifax“-Voraussetzungen verstößt gegen EU-Recht - Druckversion +- Fachforum für Rechnungswesen (https://org.boeb.at/forum) +-- Forum: BÖB News (https://org.boeb.at/forum/forumdisplay.php?fid=1) +--- Forum: News & wichtige Infos (https://org.boeb.at/forum/forumdisplay.php?fid=2) +--- Thema: Geänderte OGH-Judikatur zum Familienzeitbonus – „Al-les oder Nichts-Strategie“ wegen nicht erfüllter „Pi-pifax“-Voraussetzungen verstößt gegen EU-Recht (/showthread.php?tid=4872) |
Geänderte OGH-Judikatur zum Familienzeitbonus – „Al-les oder Nichts-Strategie“ wegen nicht erfüllter „Pi-pifax“-Voraussetzungen verstößt gegen EU-Recht - Wilhelm Kurzböck - WIKU - 26.08.2022 Geänderte OGH-Judikatur zum Familienzeitbonus – „Al-les oder Nichts-Strategie“ wegen nicht erfüllter „Pi-pifax“-Voraussetzungen verstößt gegen EU-Recht OGH 10 ObS 161/21f vom 29. März 2022 § 2 FamZeitbG Sachverhalt: 1. Befinden sich in einem Gebäude (einem Wohnhaus) zwei Wohnungen, die - wie im vor-liegenden Fall - mit zwei unterschiedlichen Topnummern von der Meldebehörde – das ist gemäß § 13 Abs 1 MeldeG der Bürgermeister – bezeichnet wurden, so verfügen diese Wohnungen somit auch gemäß § 2 Abs 3 FamZeitbG über unterschiedliche Adressen (Wohnadressen). 2. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall, bei dem ein Wohnhaus seit dem Ausbau des Dachgeschoßes aus zwei Wohnbereichen besteht. 3. Auf allfällige weitere Umstände – nur ein Haupteingang, gemeinsame Wärmeversorgung, einheitlicher Wasseranschluss etc – kommt es hingegen nicht an. 4. Lautete die hauptwohnsitzliche Meldung des Kindesvaters auf „TOP 1“ (hier Untergeschoß), während die Kindesmutter sowie das neugeborene Kind auf „TOP 2“ (hier: Obergeschoß) gemeldet waren, so lag in diesem Zeitraum kein gemeinsamer Haushalt im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 4 iVm Abs. 3 FamZeitbG vor. 5. Beantragte der Kindesvater für die Zeit 1.9. bis 30.9.2019 den Familienzeitbonus und waren erst ab 5.9.2019 alle drei Familienmitglieder an der gemeinsamen Wohnadresse hauptwohnsitzlich gemeldet, so erhält der Kindesvater für die Zeit von 5.9. bis 30.9.2019 anteilig den Familienzeitbonus und zwar aus folgenden Erwägungen: a. Es entspricht weder den Intentionen des Familienzeitbonusgesetzes noch der EU-Richtlinie 2019/1158 (Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige), dass der Kindesvater, der seine Erwerbstätigkeit für mindestens 28 Tage unterbricht, sich während dieser Zeit ausschließlich der Familie widmete, gar keinen Familienzeitbonus erhält, nur weil für 4 Tage die vom Gesetz geforderte Voraussetzung der gemeinsamen hauptwohnsitzlichen Meldung nicht erfüllt war. b. In einem Fall wie dem vorliegenden würde der gänzliche Verlust des Anspruchs bei Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung der Intention der RL 2019/1158, Männern einen Anreiz zur Übernahme eines gleichwertigen Anteils an Betreuungs- und Pflegeaufgaben zu bieten, damit Frauen relativ betrachtet weniger unbezahlte Familienarbeit leisten, widersprechen. c. Die mit der Bestimmung des § 2 Abs 3 FamZeitbG verfolgte legitime Verwaltungsvereinfachung durch das Verlangen einer gemeinsamen „hauptwohnsitzli-chen“ Meldung (VfGH G 121/2016 VfSlg 20.096/2016) kann im konkreten Fall auch dadurch erreicht werden, dass der Familienzeitbonus anteilig für den Teil des Anspruchszeitraums ausgezahlt wird, in dem eine gemeinsame „hauptwohnsitzliche“ Meldung besteht. d. Daraus folgt für den vorliegenden Fall: Strittig ist im Verfahren lediglich die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 iVm Abs 3 FamZeitbG gewesen. Tat-sächlich fehlt es an einem gemeinsamen Haushalt des Kindesvaters mit der Mutter des Kindes und dem Kind von 1. 9. 2019 bis 4. 9. 2019. Nicht strittig sind die weiteren Anspruchsvoraussetzungen. Insbesondere ist nicht strittig, dass sich der Kindesvater während des gesamten Anspruchszeitraums in Familienzeit gemäß § 2 Abs 4 FamZeitbG befand und sich um sein Kind und seine Familie kümmerte. e. Dem Kindesvater gebührt daher Familienzeitbonus für jenen Zeitraum innerhalb des von ihm gewählten Anspruchszeitraums, in dem sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 2 FamZeitbG erfüllt waren. Auf den WIKU-Punkt gebracht: Unterbricht der Vater für den gesamten beantragten Anspruchszeitraum, der zwischen 28 und 31 Tagen umfassen muss, seine Erwerbstätigkeit, um sich aus Anlass der Geburt eines Kindes seiner Familie zu widmen (Familienzeit), und fehlt es während des Antragszeitraums nur an einzelnen Tagen an der Erfüllung einer der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 FamZeitbG, so besteht (nur) für die Tage, an denen alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, ein anteiliger Anspruch auf Familienzeitbonus. WIKU-Praxishinweis: Mit diesem Urteil geht der OGH von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, über die er die von der ÖGK verfolgte „Alles oder nichts“-Strategie billigte. Der in der Literatur aufgezeigte Aspekt des möglichen Verstoßes gegen die zugrundeliegende EU-Richtlinie war hier aus Sicht des Kindesvaters sprichwörtlich bares Geld wert. Nebenbei angemerkt könnte auch die derzeitige Höhe des Familienzeitbonus da und dort gemeinschaftswidrig sein (derzeit: € 22,60 pro Kalendertag; die Richtlinie verlangt hier die Höhe des versicherungsmäßigen Krankengeldes). |