Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Die Reaktion des VwGH auf das EuGH-Urteil - Lohndumpingbekämpfung
#1
Geldstrafen für das Nichtaufliegen von Lohnunterlagen am Arbeitsort – VwGH wendet EuGH-Urteil bei der Strafbemessung an – Strafe je Arbeitnehmer/in wird nun vorerst zur Gesamthöchststrafe
 
VwGH Ra 2019/11/0033 bis 0034-6 vom 15. Oktober 2019
§§ 7d und 7i AVRAG
 
 
So entschied der VwGH:
1.    Die im Gesetz verankerte Verpflichtung, wonach im Falle grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung oder Entsendung die Lohnunterlagen der Arbeitnehmer/innen am Arbeitsort bereitgestellt werden müssen, ist NICHT unionswidrig.
2.    Wurden von der Behörde für das Nichtbereithalten von Lohnunterlagen am Arbeitsplatz Mindeststrafen in Höhe von € 6.000,00 je betretene Person verhängt (weil es sich in diesem Fall um einen „Wiederholungstäter“ handelte) und gingen der Finanzpolizei 25 Arbeitnehmer/innen „ins Netz“, so waren die verhängte Gesamtstrafe in Höhe von € 150.000,00 sowie die vorgeschriebenen Verfahrenskostenbeiträge in Höhe von insgesamt knapp € 37.000,00 „unionswidrig“, ebenso die Ersatzfreiheitsstrafe von knapp über 9 Monaten.
3.    Nach dem Urteil des EuGH im Fall Maksimovic („Andritz“) vom 12. September 2019 ist die Verhängung von Mindeststrafen in derartigen Fällen problematisch, weil diese Sanktion auch Fälle umfasst, die nicht von besonderer Schwere sind.
4.    Zwar lässt das Unionsrecht auch eine Sanktionierung je betroffenem Arbeitnehmer bzw. je betroffener Arbeitnehmerin zu, allerdings muss die Geldstrafe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen und dürfen kein unverhältnismäßiges Ausmaß erreichen. Dies kann auch durch eine „Strafenhöchstgrenze“ erreicht werden.
5.    Es ist zwar so, dass § 7i Abs. 4 AVRAG Strafhöchstgrenzen zum Inhalt hat, diese gelten aber in Bezug auf jeden einzelnen Arbeitnehmer bzw. jede einzelne Arbeitnehmerin. Eine Strafhöchstgrenze für die Gesamtstrafe ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
6.    Damit das Unionsrecht das nationale Recht verdrängen kann (das ist – nach dem VwGH – die einzig Methode, die im Rahmen der Gesetzesvollziehung zur Verfügung steht) und somit eine unionrechtskonforme Anwendung des Gesetzes ermöglicht wird, schlägt der VwGH vor, die Wortfolge „je Arbeitnehmer/in“ zu entfernen.
7.    Somit zieht die Verletzung der Bereitstellungspflicht nur noch die Verhängung einer einzige Strafe nach sich, was die zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen.
8.    Die einzige Alternative dazu (nämlich zur Verhängung EINER Strafe) wäre die gänzliche Außerachtlassung der Strafbestimmungen wegen Unionsrechswidrigkeit, was noch zu einem weitergehender Eingriff ins nationale Recht führen würde.
9.    Die Verhängung der Ersatzfreiheitsstrafe zur Durchsetzung der Verpflichtung der Bereitstellung von Lohnunterlagen ist ebenfalls nicht unionsrechstwidrig und wird im vorliegenden Fall aufgehoben.
10. Der Verfahrenskostenbeitrag nach nationalem Recht hingegen wird NICHT durch Unionsrecht verdrängt und ist daher nach Ansicht des EuGH nicht unionsrechtswidrig.
11. Im Übrigen wäre es, anders als das Verwaltungsgericht meinte, bei der vorliegenden Tat nicht gänzlich unerheblich, ob die Lohnunterlagen kurz nach der Kontrolle nachgereicht wurden, weil in diesem Fall die Kontrollmaßnahmen zugunsten des Arbeitnehmerschutzes nicht verunmöglicht, sondern nur verzögert bzw. erschwert worden wären.
12. Dies ändert zwar nichts an der Verwirklichung des Tatbildes, verringert aber den Unrechtsgehalt und wäre daher bei der Bemessung der Strafhöhe von Bedeutung (vgl. auch dazu VwGH Ra 2018/11/0141).
13. Das Verwaltungsgericht (hier: das Landesverwaltungsgericht) hat unter Berücksichtigung der zuvor erwähnten Gesichtspunkten neuerlich eine Strafbemessung vorzunehmen. Dabei werden freilich weiterhin auch die Kriterien des § 19 VStG (und damit bei der Festsetzung der Geldstrafe insbesondere auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten in angemessener Weise) zu berücksichtigen sein, sowie - fallbezogen (Tatzeiten im Jahre 2015) - mildernd auch die nunmehr lange Dauer des Strafverfahrens.
 
Auf den WIKU-Punkt gebracht:
 
Der VwGH wendet das EuGH-Urteil kompromisslos an und schlägt vor, für die Nichtvorlage von Lohnunterlagen am Arbeitsplatz auf die Verhängung der Strafen je „Arbeitnehmer/in“ zu verzichten und sich betreffend die vom EuGH verlangte Höchststrafe an den „Höchststrafen je Arbeitnehmer/in zu orientieren. Die Höchststrafe für das Nichtvorlegen der Lohnunterlagen am Arbeitsplatz beträgt je Arbeitnehmer/in € 10.000,00, wenn mehr als 3 Arbeitnehmer/innen betroffen sind, € 20.000,00 (je Arbeitnehmer/in). Im Wiederholungsfalle sprechen wir von € 20,000,00 (je Arbeitnehmer/in) bzw. von € 50.000,00 (je Arbeitnehmer/in), wenn mehr als 3 Arbeitnehmer/innen betroffen sind.
 
Dem Arbeitgeber droht also anstelle einer Geldstrafe im Ausmaß von € 150.000,00 „nur“ eine solche von € 50.000,00 plus ein Verfahrenskostenbeitrag. Die Ersatzfreiheitsstrafe darf nicht verhängt werden, also macht der VwGH „keine Gefangenen“.
 
Ich bin mir zu 100 % sicher, dass dieses Umdenken auch bei der „strafbaren Unterentlohnung“ einsetzen muss und wird und ich bin mir auch sicher, dass die Strafbestimmungen des LSD-BG spätestens Mitte des Jahres 2020 überarbeitet sein werden.
 
Befindet man sich aktuell in einem Lohndumpingverfahren, so zahlt es sich im Moment in jedem Fall aus, in das Bescheidbeschwerdeverfahren einzutreten.
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste