06.08.2021, 17:27
Arbeitskräfteüberlassung oder Werkvertrag: es kommt möglicherweise darauf an, wohin die Überlassung führt
OGH 8 ObA 63/20b vom 23. Oktober 2020
§ 4 Abs. 2 AÜG
So entschied der OGH:
1. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH 18.06.2015, C-586/13) liegt eine Arbeitskräfteüberlassung iSv Art 1 Abs 3 lit c der Entsende-RL dann vor, wenn drei Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind:
a. Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird.
b. Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist.
c. Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen.
2. Nach der österreichischen (innerstaatlichen) Rechtslage (§ 4 Abs. 2 AÜG) liegt Arbeitskräfteüberlassung insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber
a. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder
b. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder
c. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder
d. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet.
3. Während nach der Judikatur des EuGH in Bezug auf die genannten Merkmale eine Ge-samtbetrachtung erfolgt, sieht die österreichische Rechtslage (sowie deren bisherige Auslegung durch die Höchstgerichte) vor, dass das Vorliegen bereits eines Merkmals aus § 4 Abs. 2 AÜG dazu ausreicht, dass Arbeitskräfteüberlassung vorliegt (und kein Werkvertrag).
4. In Bezug auf grenzüberschreitende Sachverhalte (zB Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich) hat der Verwaltungsgerichtshof seine Judikatur auf die neue EuGH-Judikatur bereits „umgestellt“ und stellt die EuGH-Gesamtbetrachtung über die Ausle-gung des § 4 Abs. 2 AÜG, wonach ja das Vorliegen eines Merkmals zum Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung ausreichen würde.
5. Zu innerstaatlichen Sachverhalten musste sich der VwGH bis dato nicht äußern, aber der Oberste Gerichtshof wurde nun mit einem derartigen Sachverhalt (Arbeitskräfteüberlassung innerhalb von Österreich) befasst.
6. Der OGH bleibt bei seiner Linie der vorrangigen Anwendung des § 4 Abs. 2 AÜG und wischt allfällige Bedenken betreffend eine Ungleichbehandlung inländischer Sachverhalte (bei denen man „rascher“ in einer – möglicherweise ungewollten – Arbeitskräfteüberlassung landet) gegenüber grenzüberschreitenden Sachverhalten, bei denen die EuGH-Judikatur mit der Gesamtbetrachtung zur Anwendung kommen muss, mit „interessanten“ Argumenten weg, über die möglicherweise noch zu sprechen sein wird.
WIKU-Praxisecho:
Mit diesem Urteil kann es sein, dass derselbe Sachverhalt bei grenzüberschreitenden Fällen anders zu beurteilen ist (ev. keine Arbeitskräfteüberlassung) als im Falle eines innerstaatlichen Sachverhaltes (wo man „schneller“ in der Arbeitskräfteüberlassung landet, was die Anwendung des AÜG zur Folge hat).
OGH 8 ObA 63/20b vom 23. Oktober 2020
§ 4 Abs. 2 AÜG
So entschied der OGH:
1. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH 18.06.2015, C-586/13) liegt eine Arbeitskräfteüberlassung iSv Art 1 Abs 3 lit c der Entsende-RL dann vor, wenn drei Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind:
a. Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird.
b. Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist.
c. Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen.
2. Nach der österreichischen (innerstaatlichen) Rechtslage (§ 4 Abs. 2 AÜG) liegt Arbeitskräfteüberlassung insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber
a. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder
b. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder
c. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder
d. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet.
3. Während nach der Judikatur des EuGH in Bezug auf die genannten Merkmale eine Ge-samtbetrachtung erfolgt, sieht die österreichische Rechtslage (sowie deren bisherige Auslegung durch die Höchstgerichte) vor, dass das Vorliegen bereits eines Merkmals aus § 4 Abs. 2 AÜG dazu ausreicht, dass Arbeitskräfteüberlassung vorliegt (und kein Werkvertrag).
4. In Bezug auf grenzüberschreitende Sachverhalte (zB Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich) hat der Verwaltungsgerichtshof seine Judikatur auf die neue EuGH-Judikatur bereits „umgestellt“ und stellt die EuGH-Gesamtbetrachtung über die Ausle-gung des § 4 Abs. 2 AÜG, wonach ja das Vorliegen eines Merkmals zum Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung ausreichen würde.
5. Zu innerstaatlichen Sachverhalten musste sich der VwGH bis dato nicht äußern, aber der Oberste Gerichtshof wurde nun mit einem derartigen Sachverhalt (Arbeitskräfteüberlassung innerhalb von Österreich) befasst.
6. Der OGH bleibt bei seiner Linie der vorrangigen Anwendung des § 4 Abs. 2 AÜG und wischt allfällige Bedenken betreffend eine Ungleichbehandlung inländischer Sachverhalte (bei denen man „rascher“ in einer – möglicherweise ungewollten – Arbeitskräfteüberlassung landet) gegenüber grenzüberschreitenden Sachverhalten, bei denen die EuGH-Judikatur mit der Gesamtbetrachtung zur Anwendung kommen muss, mit „interessanten“ Argumenten weg, über die möglicherweise noch zu sprechen sein wird.
WIKU-Praxisecho:
Mit diesem Urteil kann es sein, dass derselbe Sachverhalt bei grenzüberschreitenden Fällen anders zu beurteilen ist (ev. keine Arbeitskräfteüberlassung) als im Falle eines innerstaatlichen Sachverhaltes (wo man „schneller“ in der Arbeitskräfteüberlassung landet, was die Anwendung des AÜG zur Folge hat).