04.12.2023, 08:17
VwGH vom 07.08.2023, Ra 2022/08/0091
§ 4 Abs. 2 ASVG
So entschied der VwGH:
A) Einfaches sanktionsloses Ablehnungsrecht contra generelles sanktionsloses Ablehnungsrecht:
1. Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist stets die persönliche Arbeitspflicht.
2. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vor.
3. Persönliche Arbeitspflicht ist (unter anderem) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann („sanktionsloses Ablehnungsrecht“).
4. Der Empfänger der Dienstleistungen kann unter solchen Umständen nicht darauf bauen und entsprechend disponieren, dass dieser Beschäftigte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht.
5. Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht dagegen in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden.
6. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen (vgl. etwa VwGH 3.4.2019, Ro 2019/08/0003 = WPA 13/2049, Artikel Nr. 300/2019, mwN).
7. Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit auch darauf hingewiesen, dass selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, im Verdacht stünde, ein „Scheingeschäft“ zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG).
B) Präsenter Arbeitskräftepool:
8. Anders wäre ein Sachverhalt aber z. B. dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen („präsenter Arbeitskräftepool“), und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen -Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt.
9. Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem „Pool“ sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am „Pool“, mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. VwGH 11.4.2018, Ra 2017/08/0099 bis 0103 = WPA 15/2018, Artikel Nr. 394/2018, mwN).
C) Hier lagen echte Dienstverhältnisse vor:
10. Im hier zu beurteilenden Fall waren die Zusteller, sobald von ihnen nach einer Kontaktaufnahme durch den Auftraggeber (Arbeitgeber) die Übernahme eines Dienstes zugesagt wurde, nach den wahren Verhältnissen zur Leistung verpflichtet gewesen.
11. Ein „präsenter Arbeitskräftepool“ im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hat beim Auftraggeber/Arbeitgeber nicht bestanden.
12. Ein „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ war mit der Unternehmensorganisation des Auftraggebers nicht vereinbar gewesen und ist den Zustellern nach den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zugestanden.
§ 4 Abs. 2 ASVG
So entschied der VwGH:
A) Einfaches sanktionsloses Ablehnungsrecht contra generelles sanktionsloses Ablehnungsrecht:
1. Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist stets die persönliche Arbeitspflicht.
2. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vor.
3. Persönliche Arbeitspflicht ist (unter anderem) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann („sanktionsloses Ablehnungsrecht“).
4. Der Empfänger der Dienstleistungen kann unter solchen Umständen nicht darauf bauen und entsprechend disponieren, dass dieser Beschäftigte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht.
5. Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht dagegen in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden.
6. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen (vgl. etwa VwGH 3.4.2019, Ro 2019/08/0003 = WPA 13/2049, Artikel Nr. 300/2019, mwN).
7. Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit auch darauf hingewiesen, dass selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, im Verdacht stünde, ein „Scheingeschäft“ zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG).
B) Präsenter Arbeitskräftepool:
8. Anders wäre ein Sachverhalt aber z. B. dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen („präsenter Arbeitskräftepool“), und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen -Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt.
9. Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem „Pool“ sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am „Pool“, mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. VwGH 11.4.2018, Ra 2017/08/0099 bis 0103 = WPA 15/2018, Artikel Nr. 394/2018, mwN).
C) Hier lagen echte Dienstverhältnisse vor:
10. Im hier zu beurteilenden Fall waren die Zusteller, sobald von ihnen nach einer Kontaktaufnahme durch den Auftraggeber (Arbeitgeber) die Übernahme eines Dienstes zugesagt wurde, nach den wahren Verhältnissen zur Leistung verpflichtet gewesen.
11. Ein „präsenter Arbeitskräftepool“ im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hat beim Auftraggeber/Arbeitgeber nicht bestanden.
12. Ein „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ war mit der Unternehmensorganisation des Auftraggebers nicht vereinbar gewesen und ist den Zustellern nach den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zugestanden.