03.08.2021, 15:25
Angemessenheit von SEG-Zulagen – Fixbeträge steuerlich „sicherer“ als Prozentanteile vom Lohn oder Gehalt
VwGH Ra 2020/15/0123 vom 30. Juni 2021
§ 68 Abs. 1 EStG 1988
So entschied der VwGH:
A) Kollektivvertragliche Regelung der Höhe einer Schmutzzulage ist NICHT von Haus aus „unbedenklich“
1. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 22.11.2018, Ra 2017/15/0025 = WPA 2/2019, Artikel Nr. 31/2019 Schmutzzulagen für Rauchffangkehrer im Bundesland Tirol) obliegt es der Abgabenbehörde, bei Zulagen (SEG-Zulagen), bei denen die Voraussetzungen des § 68 Abs. 5 EStG 1988 dem Grunde nach vorliegen (zB Regelung im Kollektivvertrag, Vorhandensein von Aufzeichnungen, tat-sächliche Verschmutzung oder Gefahr bzw. Erschwernis) auch die Angemessenheit einer derart gewährten Zulage (Schmutz-, Erschwernis- oder Gefahrenzulage) zu prüfen.
2. Dies ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, wonach für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht das äußere Erscheinungsbild des Sachverhalts maßgebend ist.
3. Die bloße Bezeichnung eines Betrages als „Schmutzzulage“ sichert die steuerliche Begünstigung daher nicht, soweit ein sachlich vertretbarer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Verschmutzung (oder der sonstigen Erschwernis) und der gewährten Zahlung nicht besteht und sich die Zahlung ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach daher teilweise auch als Abgeltung der vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistung darstellt.
4. Der zwischen den Kollektivvertragspartnern typischerweise bestehende Interessensgegensatz steht dieser Prüfung nicht entgegen, weil es in beiderseitigem Interesse liegen kann, einen möglichst hohen Anteil des Lohnes als begünstigten Lohnbestandteil zu bezeichnen.
Das WIKU-Praxisecho:
Damit ist klargestellt, dass die Lohnabgabenprüfung in Bezug auf die Steuerfreiheit von SEG-Zulagen auch dann die Angemessenheit überprüfen darf, wenn die Höhe der jeweiligen Zulage im Kollektivvertrag geregelt ist.
B) Prüfung der Angemessenheit ist Ergebnis einer Schätzung:
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bereits genannten Erkenntnis, Ra 2017/15/0025, darauf hingewiesen, dass diese vorzunehmende Angemessenheitsprüfung eine Schätzung zugrundeliegt.
6. Es gibt also nicht den einen als angemessen zu beurteilenden absoluten oder im Verhältnis zum Bruttolohn mit einem bestimmten Prozentsatz zu bemessenden Zulagenbetrag.
7. Eine Kürzung ist dann vorzunehmen, wenn die Abweichung erheblich ist, d. h. die Vereinbarung durch die Kollektivvertragspartner außerhalb jener Bandbreite liegt, die jeder Schätzung immanent ist.
8. Um die Angemessenheit der Schmutzzulage beurteilen zu können, ist daher zunächst festzustellen, welche Kosten durch die Verschmutzung üblicherweise anfallen und durch den Zuschlag abgegolten werden sollen.
9. Dabei geht es um den Sach- und Zeit(mehr)aufwand, der dem Arbeitnehmer durch die (Beseitigung der) Verschmutzung üblicherweise erwächst.
C) Einheitliche Fixbeträge sind plausibler als Prozentwerte in Abhängigkeit von Lohn oder Gehalt:
10. Erst auf Basis festgestellter üblicher Kosten kann auf das angemessene Ausmaß einer Schmutzzulage geschlossen werden.
11. Ein pauschaler Betrag, wie er in fünf der neun Bundesländer gewährt wird, kommt dabei dem Gedanken einer Abgeltung der Verschmutzung näher als ein prozentueller Betrag vom Gehalt, ist doch davon auszugehen, dass üblicherweise der Verschmutzungsgrad eines Arbeitnehmers nicht linear mit dem Gehalt steigt.
12. Für unterschiedliche Fixbeträge zwischen den einzelnen Arbeitnehmern (etwa Geselle oder Hilfskraft) wird dabei im Allgemeinen kein Raum bleiben.
13. Letztlich wird das Ergebnis der Schätzung eine Bandbreite sein: Erst bei Überschreiten der Bandbreite wird die Steuerbegünstigung des § 68 EStG 1988 zu versagen sein.
D) Gefahr und Erschwernis haben bei der Angemessenheitsprüfung für eine Schmutzzulage nichts verloren:
Die Berücksichtigung der Tatsache, dass Kaminkehrer nach dem für sie typischen Berufsbild während ihrer Arbeitszeit durch die Arbeit auf Hausdächern regelmäßig einer Sturzgefahr, zudem vielfach auch Hitze, Kälte bzw. Nässe ausgesetzt sind und damit diese Komponenten eine Rolle bei der Angemessenheitsprüfung spielen könnten, muss darauf hinge-wiesen werden, dass das Bundesfinanzgericht nicht festgestellt hat, dass die betroffenen Kaminkehrer überwiegend unter gefährdenden Umständen oder solchen, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen, gearbeitet haben.
Das WIKU-Praxisecho:
In diesem Fall muss an die Kollektivvertragspartner appelliert werden, bei SEG-Zulagen bei den nächsten „Lohn- und Gehaltsrunden“ ev. die Strategie dahingehend zu ändern, dass man diese Zulagen nicht (mehr) in prozentueller Höhe festlegt und dadurch unterschiedliche Sätze zum Vorschein gelangen, je nachdem, wo man eingestuft ist bzw. wie hoch der jeweilige Lohn oder das jeweilige Gehalt ist.
Analoges wäre auch dringend anzuraten, wenn innerbetriebliche Regelungen zu SEG-Zulagen getroffen wurden (weil es keine KV-Regelungen gibt).
Die Aussagen des vorliegenden VwGH-Erkenntnisses könnten bei anstehenden GPLB-Prüfungen zumindest massivere Diskussionen auslösen.
VwGH Ra 2020/15/0123 vom 30. Juni 2021
§ 68 Abs. 1 EStG 1988
So entschied der VwGH:
A) Kollektivvertragliche Regelung der Höhe einer Schmutzzulage ist NICHT von Haus aus „unbedenklich“
1. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 22.11.2018, Ra 2017/15/0025 = WPA 2/2019, Artikel Nr. 31/2019 Schmutzzulagen für Rauchffangkehrer im Bundesland Tirol) obliegt es der Abgabenbehörde, bei Zulagen (SEG-Zulagen), bei denen die Voraussetzungen des § 68 Abs. 5 EStG 1988 dem Grunde nach vorliegen (zB Regelung im Kollektivvertrag, Vorhandensein von Aufzeichnungen, tat-sächliche Verschmutzung oder Gefahr bzw. Erschwernis) auch die Angemessenheit einer derart gewährten Zulage (Schmutz-, Erschwernis- oder Gefahrenzulage) zu prüfen.
2. Dies ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, wonach für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht das äußere Erscheinungsbild des Sachverhalts maßgebend ist.
3. Die bloße Bezeichnung eines Betrages als „Schmutzzulage“ sichert die steuerliche Begünstigung daher nicht, soweit ein sachlich vertretbarer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Verschmutzung (oder der sonstigen Erschwernis) und der gewährten Zahlung nicht besteht und sich die Zahlung ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach daher teilweise auch als Abgeltung der vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistung darstellt.
4. Der zwischen den Kollektivvertragspartnern typischerweise bestehende Interessensgegensatz steht dieser Prüfung nicht entgegen, weil es in beiderseitigem Interesse liegen kann, einen möglichst hohen Anteil des Lohnes als begünstigten Lohnbestandteil zu bezeichnen.
Das WIKU-Praxisecho:
Damit ist klargestellt, dass die Lohnabgabenprüfung in Bezug auf die Steuerfreiheit von SEG-Zulagen auch dann die Angemessenheit überprüfen darf, wenn die Höhe der jeweiligen Zulage im Kollektivvertrag geregelt ist.
B) Prüfung der Angemessenheit ist Ergebnis einer Schätzung:
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bereits genannten Erkenntnis, Ra 2017/15/0025, darauf hingewiesen, dass diese vorzunehmende Angemessenheitsprüfung eine Schätzung zugrundeliegt.
6. Es gibt also nicht den einen als angemessen zu beurteilenden absoluten oder im Verhältnis zum Bruttolohn mit einem bestimmten Prozentsatz zu bemessenden Zulagenbetrag.
7. Eine Kürzung ist dann vorzunehmen, wenn die Abweichung erheblich ist, d. h. die Vereinbarung durch die Kollektivvertragspartner außerhalb jener Bandbreite liegt, die jeder Schätzung immanent ist.
8. Um die Angemessenheit der Schmutzzulage beurteilen zu können, ist daher zunächst festzustellen, welche Kosten durch die Verschmutzung üblicherweise anfallen und durch den Zuschlag abgegolten werden sollen.
9. Dabei geht es um den Sach- und Zeit(mehr)aufwand, der dem Arbeitnehmer durch die (Beseitigung der) Verschmutzung üblicherweise erwächst.
C) Einheitliche Fixbeträge sind plausibler als Prozentwerte in Abhängigkeit von Lohn oder Gehalt:
10. Erst auf Basis festgestellter üblicher Kosten kann auf das angemessene Ausmaß einer Schmutzzulage geschlossen werden.
11. Ein pauschaler Betrag, wie er in fünf der neun Bundesländer gewährt wird, kommt dabei dem Gedanken einer Abgeltung der Verschmutzung näher als ein prozentueller Betrag vom Gehalt, ist doch davon auszugehen, dass üblicherweise der Verschmutzungsgrad eines Arbeitnehmers nicht linear mit dem Gehalt steigt.
12. Für unterschiedliche Fixbeträge zwischen den einzelnen Arbeitnehmern (etwa Geselle oder Hilfskraft) wird dabei im Allgemeinen kein Raum bleiben.
13. Letztlich wird das Ergebnis der Schätzung eine Bandbreite sein: Erst bei Überschreiten der Bandbreite wird die Steuerbegünstigung des § 68 EStG 1988 zu versagen sein.
D) Gefahr und Erschwernis haben bei der Angemessenheitsprüfung für eine Schmutzzulage nichts verloren:
Die Berücksichtigung der Tatsache, dass Kaminkehrer nach dem für sie typischen Berufsbild während ihrer Arbeitszeit durch die Arbeit auf Hausdächern regelmäßig einer Sturzgefahr, zudem vielfach auch Hitze, Kälte bzw. Nässe ausgesetzt sind und damit diese Komponenten eine Rolle bei der Angemessenheitsprüfung spielen könnten, muss darauf hinge-wiesen werden, dass das Bundesfinanzgericht nicht festgestellt hat, dass die betroffenen Kaminkehrer überwiegend unter gefährdenden Umständen oder solchen, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen, gearbeitet haben.
Das WIKU-Praxisecho:
In diesem Fall muss an die Kollektivvertragspartner appelliert werden, bei SEG-Zulagen bei den nächsten „Lohn- und Gehaltsrunden“ ev. die Strategie dahingehend zu ändern, dass man diese Zulagen nicht (mehr) in prozentueller Höhe festlegt und dadurch unterschiedliche Sätze zum Vorschein gelangen, je nachdem, wo man eingestuft ist bzw. wie hoch der jeweilige Lohn oder das jeweilige Gehalt ist.
Analoges wäre auch dringend anzuraten, wenn innerbetriebliche Regelungen zu SEG-Zulagen getroffen wurden (weil es keine KV-Regelungen gibt).
Die Aussagen des vorliegenden VwGH-Erkenntnisses könnten bei anstehenden GPLB-Prüfungen zumindest massivere Diskussionen auslösen.