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Der nächste EuGH-Wickel für das österreichische Arbeitsrecht: Mehrarbeit von Teilzeitkräften sind möglicherweise Überstunden
#1
Für die Arbeitsrechtsliteratur in Deutschland ist die Sache nun sehr klar.

Leisten Teilzeitkräfte Mehrstunden, so müssen diese als Überstunden so wie beim Vollbeschäftigten entlohnt werden.

https://www.hensche.de/eugh-urteil-vom-1...aefte.html


Grund dafür ist ein EuGH-Urteil (C-660/20 vom 19.10.2023), welches einem teilzeitbeschäftigten Linienpiloten genau diese Forderung erfüllte, entgegen der Rechtsansicht des deutschen Bundesarbeitsgerichts, der nur "sicherheitshalber" beim EuGH nachgefragt hatte (so wie seinerzeit in Österreich der OGH, als es um den Verlust der Urlaubsersatzleistung im Falle des unberechtigten vorzeitigen Austrittes ging).

Im Unterschied zu Österreich muss in Deutschland eine bestimmte Monatsarbeitszeit überschritten sein, damit bei Vollbeschäftigten Überstunden vorliegen. In Österreich sind Tages- und Wochennormalarbeitszeiten dafür maßgeblich. Auch in Deutschland sah man bis dato keinen Bedarf die Teilzeitmehrarbeit einer Überstunde gleichzustellen. In Österreich gibt es betreffend Teilzeitmehrarbeit ja die Entlohnungsmöglichkeit mit Zuschlag (25 %, allerdings nicht in allen österreichischen Arbeitszeitgesetzen, so zB nicht im Bäckereiarbeitergesetz) und alternativ dazu ZA-Möglichkeiten im Verhältnis 1:1.

Der Teilzeitmehrarbeitszuschlag wird in Österreich als "Flexibilisierungszuschlag" angesehen, der quasi als Reaktion auf die seinerzeitige "Peek & Cloppenburg-Entscheidung" aus dem Jahr 2002 seit 1.1.2008 das AZG "schmückt".

Was im "deutschen Verfahren" fehlte, waren wissenschaftliche Nachweise darüber, welche die unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitkräften rechtfertige (in Wahrheit ist ja nicht unterschiedlich, weil ja beide dieselbe Stundenzahl leisten müssen, um zur Überstunde zu kommen, aber genau DAS ist der "Stein des Anstoßes".

Die österreichische Literatur steht dieser EuGH-Entscheidung mit Ablehnung entgegen und bringt tapfer alle möglichen Gründe vor, warum das in Österreich alles anders wäre. 

Wieder einmal stehen wir an der Türschwelle des "pro rata temporis", was wir schon einmal hatten, als um das Umrechnen von Urlaubsansprüchen bei Übergang von Voll- auf Teilzeit ging. Hier hat sich der OGH gekonnt aus der EuGH-Umklammerung gewunden, wenngleich ich mein letztes Hemd nicht darauf verwetten würde, dass ein österreichischer Fall, der vor dem EuGH landet, auch tatsächlich im Sinne des vom OGH gezogenen Schlusses (wertneutrales Umrechnen ist keine Reduktion) entschieden würde.

Daher möchte ich auch im vorliegenden Fall keine Unruhe stiften und zur Teilzeitrevolution aufrufen. Ganz im Gegenteil. Vorläufig (das heißt wohl: für die nächsten 3 bis 5 Jahre) sehe ich hier keine Praxisänderung am Horizont. Die müsste von jemandem aus Österreich bis zum EuGH erstritten werden und da sind dann drei Jahre schon die unterste zeitliche Latte in Bezug auf den Rechtsweg (man erinnere sich an die "ewige Geschichte", bis der Karfreitag als gesetzlicher Feiertag in die "ewigen Jagdgründe" geschickt wurde.

Die Aussagen des EuGH lauten:

1.      Paragraf 4 Nr. 1 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit ist dahin auszulegen, dass
eine nationale Regelung, die die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran knüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden bei einer bestimmten Tätigkeit wie dem Flugdienst eines Flugzeugführers überschritten wird, eine „schlechtere“ Behandlung der Teilzeitbeschäftigten im Sinne dieser Vorschrift darstellt.

2.      Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran knüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden bei einer bestimmten Tätigkeit wie dem Flugdienst eines Flugzeugführers überschritten wird, um eine besondere Arbeitsbelastung bei dieser Tätigkeit auszugleichen.

Man kommt auch nicht umhin, dem EuGH eine gewisse Wankelmütigkeit zu unterstellen, weil das "sicherheitshalber erfolgte Nachfragen" des BAG (durch Vorabentscheidungsantrag) schon seine Gründe hatte. Hier wurde ja sehr vorsichtig formuliert: wir hätten wohl gefragt: "kann er sich jetzt dann doch bald entscheiden, der gnädige Herr EuGH; einmal entscheidet er "so", dann wieder "anders".

Also: pragmatisch ausgedrückt ist noch nichts geschehen (zumindest nicht in Österreich, in Deutschland sehen das die Kollegen schon deutlich anders). 

Den Volltext des Urteils findet man hier:


https://curia.europa.eu/juris/document/d...id=7302069
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