27.11.2019, 08:27
OGH zur Urlaubsverjährung im Zuge einer Vertragsumqualifzierung von freiem Dienstverhältnis zu echtem Dienstverhältnis
OGH 8 ObA 62/18b vom 29. August 2019
§ 4 Abs. 5 UrlG
Sachverhalt:
· Ein Call-Center-Mitarbeiter war in einem freien Dienstverhältnis tätig.
· Allerdings stellte sich in einem Gerichtsverfahren heraus, dass tatsächlich ein abhängiges (echtes) Dienstverhältnis vorlag.
· Das (scheinbar) freie Dienstverhältnis dauerte von 14.1.2014 bis zum 31.3.2017.
· Für diesen Zeitraum machte er nun im Nachhinein den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung geltend, also für insgesamt 3 Jahresurlaube (3 x 25 Arbeitstage = 75, zuzüglich anteiliger Urlaubsersatzleistungsanspruch für die Zeit von 14.1.2017 bis 31.3.2017 = 5 Arbeitstage = 80 Arbeitstage, abzüglich 16 konsumierte Urlaubstage = 64 Urlaubstage.
· Der Arbeitgeber meinte, dass jener offene Urlaub, der aus dem Urlaubsjahr 14.1.2014 bis 13.1.2015 stammte, ab 14.1.2017 bereits verjährt war, wenn man den Fall nach den österreichischen gesetzlichen Regelungen beurteilen würde.
· Strittig war, ob nicht im Lichte jüngerer EuGH-Judikaturentwicklungen dieser Urlaubsanspruch doch zur Gänze als Urlaubsersatzleistung einklagbar war.
So entschied der OGH:
Der Oberste Gerichtshof betonte eingangs, dass freien Dienstnehmer/innen kein Urlaubsanspruch zusteht, weil hier jene arbeitsrechtlichen Bestimmungen außer Betracht bleiben, die vom persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers ausgehen und den sozial Schwächeren schützen sollen. Dazu zählen auch die Bestimmungen aus dem Urlaubsrecht.
Als echter Dienstnehmer hingegen steht ein bezahlter Jahresurlaub grundsätzlich zu und daraus abgeleitet in weiterer Folge auch eine Urlaubsersatzleistung, soweit dieser Urlaub auch nicht konsumiert wurde bzw. nicht verjährt ist.
Der OGH bestätigte außerdem, dass ein Teil des geforderten Urlaubs, soweit er aus der Zeit vom 14.1.2014 bis 13.1.2017 stammte, tatsächlich verjährt war und dieser Befund mit der von ihm untersuchten EuGH-Judikatur in Einklang wäre (also kein Widerspruch zwischen nationalen Regelungen und EU-Vorschriften erkennbar wäre).
Jene EuGH-Entscheidung, auf die sich der klagende Arbeitnehmer berief (EuGH C-214/16 vom 29. November 2017 = WPA 21/2017, Artikel Nr. 639/2017, Rs King) betraf einen besonderen Rechtsfall aus Großbritannien, im Zuge welchem ebenfalls eine Vertragsumqualifizierung dazu führte, dass man um die Urlaubsverjährungsfrage aus der Zeit des freien Dienstverhältnisses stritt (also praktisch derselbe Fall wie hier, nur, dass es im „britischen Fall“ damals um einen weitaus längeren Zeitraum des freien Dienstverhältnisses ging wie hier).
Der OGH meinte, dass der damals klagende Arbeitnehmer (ein Mister King) praktisch keine rechtliche Möglichkeit hatte, seinen bezahlten Urlaubsanspruch geltend zu machen, weshalb der EuGH keine Verjährung des nicht konsumierbaren Urlaubs erkannte.
Im Unterschied zu Großbritannien jedoch hätte man in Österreich nach Auffassung des OGH einen effizienten Rechtsbehelf und zwar konkret mit § 228 ZPO (Zivilprozessordnung).
So kann nach § 228 ZPO auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechtes Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder Recht durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
Einem Dienstnehmer, der als Scheinselbstständiger oder in einem als solches bezeichneten freien Dienstverhältnis beschäftigt wird, obwohl die wesentlichen Merkmale seiner Beschäftigung einem Arbeitsverhältnis entsprechen, steht mit der Feststellungsklage ein effizienter Rechtsbehelf zur Verfügung, der ihm die gerichtliche Klärung ermöglicht, ob sein Vertragsverhältnis den arbeitsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere dem UrlG, unterliegt.
Durch Geltendmachung des Anspruchs innerhalb des Zeitraums des § 4 Abs 5 UrlG wird nach § 1497 ABGB auch die Verjährung unterbrochen.
Wenn der Arbeitgeber jedoch die gerichtliche Geltendmachung des Urlaubsanspruchs innerhalb der dreijährigen Frist durch Handeln wider Treu und Glauben verhindert hat, kann der Arbeitnehmer einem Verjährungseinwand die Replik der Arglist entgegensetzen.
Von Arglist ist allgemein auszugehen, wenn es der Arbeitgeber geradezu darauf anlegt, die Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern.
Einen solchen Einwand hat der klagende Arbeitnehmer hier nicht erhoben.
Die unterschiedliche Auffassung über die rechtliche Qualifikation eines Beschäftigungsverhältnisses, die von einer Gesamtbetrachtung der für und gegen das Arbeitsverhältnis sprechenden Merkmale im Einzelfall abhängt begründet den Vorwurf der Arglist im Regelfall nicht, sofern die abweichende Rechtsansicht nicht von vornherein unhaltbar erscheint.
Somit war ein Teil des geltend gemachten offenen Urlaubs in Form der Urlaubsersatzleistung tatsächlich verjährt und daher nicht zuzusprechen.
Auf den WIKU-Punkt gebracht:
In Österreich können sich Personen, die jahrelang als Scheinselbständige für ein und denselben Auftraggeber tätig waren, im Nachhinein zumeist nur den noch nicht verjährten Teil des Urlaubs gerichtlich geltend machen, weil es nach Auffassung des OGH einen effizienten Rechtsbehelf gibt, der hilft, feststellen zu können, ob ein Urlaubsanspruch besteht (weil ein echtes Dienstverhältnis vorliegt).
Nur dann, wenn der Arbeitgeber dieses Geltendmachen vereitelt, wären die Verjährungsregeln nicht anzuwenden.
Ein Irrtum bei der Vertragsqualifzierung wäre dabei im Regelfall noch nicht als Vereitelungshandlung zu werten.
Die WIKU-Praxisanmerkung:
Sehr schade finde ich, dass man im Rahmen dieses Verfahren nicht auch die jüngeren EuGH-Entscheidungen C-619/16 sowie C-684/16, jeweils vom 6. November 2018 (= WPA 19/2018, Artikel Nr. 509/2018) erörtert hat, in welchen der EuGH ein konkretes „Frühwarnsystem“ vorschrieb, welches vor dem möglichen Eintritt einer Urlaubsverjährung eingehalten werden müsste, um dem Arbeitnehmer doch noch den Urlaubskonsum zu ermöglichen.
Spannend wird sicherlich auch noch der Ausgang jenes Musterverfahrens sein, in welchem es um die Frage geht, ob eine Urlaubsersatzleistung im Falle eines unberechtigten vorzeitigen Austrittes tatsächlich verjährt.